Essener Krippentradition
Recht unterschiedlich und vielfältig ist die Krippenlandschaft Deutschlands. Die jeweiligen Traditionen und Bräuche der Krippenschaffenden in unserem Lande sind in die Herstellung und den Aufbau der Weihnachtskrippen eingeflossen bzw. haben zu unterschiedlich geprägten Darstellungsformen geführt.
Das Ruhrgebiet mit dem Bistum Essen kann in dieser "Krippenlandschaft“ keineswegs derart fest eingeordnet werden wie andere Bereiche unseres Landes, etwa das Rheinland, Westfalen, Schwaben oder Bayern.
Zu unterschiedlich sind die Bräuche, Gewohnheiten und Traditionen, die hier zusammengeflossen sind, bunt gemischt wie die Kulturen der Bevölkerung dieses Raumes. Darum können wir nicht von einem besonderen Stil der Ruhrgebietskrippe sprechen. Das sollte weniger als Nachteil gesehen werden, sondern als Bereicherung bei der Beschäftigung mit der Weihnachtskrippe. Die private häusliche Krippe ist meist geprägt von familiären Gewohnheiten, die sich im Bau und im Aufbau der Krippen widerspiegeln.
Da sind dennoch zwei wichtige Merkmale hiesiger Krippen deutlich zu erkennen. Zunächst die bibelgetreue Darstellung mit den Figuren, die in den Evangelien genannt werden: die Hl. Familie, die Hirten, Engel und die Magier aus dem Osten. Die vielfigurigen Krippen, wie wir sie aus den Alpenländern, Italien und Spanien kennen, mit den detailgetreuen Wiedergaben von Landschaft, Leuten und Alltagsleben, haben hier nie eine Heimat gefunden. Abgesehen von äußerst seltenen Exemplaren von Figuren, die den biblischen Kanon überschritten, hat man sich von jeher auf die Darstellung der biblischen Botschaft mit theatralischen Mitteln beschränkt, ganz im Sinne der "biblia pauperum“ des Mittelalters in der Architektur und Ausstattung der Kirchen.
Der zweite Grund dafür, dass historisch alte Figuren im Ruhrgebiet kaum bis heute erhalten sind, ist deren Herstellungsweise aus Wachs. Der empfindliche Werkstoff in Zusammenhang mit falscher Lagerung und Behandlung dieser Figuren ist die Ursache dafür. Eine lokale Besonderheit der Region ist allerdings die Einbeziehung des Milieus der Bergarbeiter, die wir in den sogenannten "Bergmannskrippen“ antreffen. Die handwerkliche und bastlerische Tradition der Bergleute hat oft Krippen hervorgebracht, bei denen sich das heilige Geschehen der Weihnacht in der Wohn- und Arbeitswelt der Bergleute angesiedelt findet. Da wurde ein Pferdegöpel über einem historischen Schacht zum "Stall von Bethlehem“ oder im "Stall“ auf dem Hof der Häuser einer Zechenkolonie stellte man die Geburt Christi dar. Dann wurde Maria zur Bergmannsfrau, Josef zum "Kumpel“ und die "Hirten“ waren Leute aus der Nachbarschaft dieser zahlreich vorzufindenden Zechenkolonien. Der Kohleabbau unter Tage wurde oft mit in die Krippendarstellung einbezogen und nachgebaut. Das lässt sich mit den rheinischen Milieukrippen und den Darstellungen aus Italien, Frankreich und Spanien durchaus vergleichen.
Historisierend orientalische Krippenhöhlen stellte man mit nachgebauten Steinhöhlen dar, zu deren Bau man Koks- oder Hochofenschlacke als Material benutzte. Die Schlackenstücke fügte man mit Gips zusammen und bastelte auf diese Art Krippengrotten, die den Karsthöhlen auf den Feldern bei Bethlehem recht ähnlich sehen. Solche Krippengrotten waren allerdings sehr schwer vom Gewicht und leicht zerbrechlich. Man baute daher fast jährlich solche „Ställe“ neu.
Im Bereich der Kirchenkrippen finden wir einerseits kaum alte Krippen vor, andererseits ein Sammelsurium von unterschiedlichen Werken zeitgenössischer Arbeiten einzelner Künstler und Werkstätten. Das hat seine Ursache darin, dass nur wenige Kirchen sehr alt sind, die meisten erst seit der Industrialisierung des Gebietes gegründet und gebaut wurden. Und wenn eine neue Kirche unter oft großen finanziellen Anstrengungen der Gemeindemitglieder errichtet war, dann fehlte das Geld zur Anschaffung einer besonders künstlerischen Krippe. Außerdem hat der Zweite Weltkrieg nicht nur viele Kirchen, sondern auch deren Krippen vernichtet. Beidem Wiederaufbau und der erneuten Einrichtung und Ausschmückung dieser Kirchen traten dann wieder die zuvor geschilderten Probleme auf.
Viele der Krippen in Essener Kirchen kaufte man im nahegelegenen niederrheinischen Wallfahrtsort Kevelaer, wo noch heute mehrere Firmen ansässig sind, die Figuren für Kirchenkrippen herstellen. Auch in westfälischen Städten in der nahen und weiteren Umgebung von Essen fand man immer wieder Künstler und Kunsthandwerker, die Krippenfiguren für Kirchen herstellten.
In der Stadt Essen hat die Ordensfrau Mutter Franziska Wüsten (1889-1990), Künstlerin und Lehrerin an der BMV-Schule in Holsterhausen, zahlreiche Figuren für Krippen in Essener Kirchen geschaffen. Sie arbeitete meist in der alten Technik und modellierte Köpfe, Hände und Beine der auf Drahtgestelle montierten Figuren aus Bienenwachs. Die bekannteste Krippe von ihr steht noch heute in der Münsterkirche, dem Essener Dom. Auch die private Hauskrippe von Ruhrbischof Franz Kardinal Hengsbach stammt von ihr. Heute befindet diese sich im Besitz des Zisterzienser-Klosters in Bochum-Stiepel.
Die evangelischen Kirchen kannten lange Zeit den Brauch, zu Weihnachten eine Krippe in der Kirche aufzubauen, nicht. Daher sucht man hier historische Krippen vergeblich. Erst in jüngerer Zeit halten Weihnachtskrippen auch hier Einzug in die Kirchen.
Es wäre schön und für die traditionelle Feier des Weihnachtsfestes förderlich, den Brauch, zu Weihnachten in den Wohnungen und Kirchen Krippen aufzubauen und aufzustellen, weiter zu pflegen bzw. neu zu beleben. Die dreidimensionale künstlerische Darstellungsform der biblischen Geschichten von der Geburt Christi ist so etwas wie "eingefrorenes Theater“. Es zeigt uns die Botschaft der Heiligen Schrift von der Geburt des Kindes Jesus in immer wieder neuer Form und je anderer künstlerischer Gestaltung.
Machen Sie sich nun selbst auf den Weg zu ESSEN KRIPPENLAND und entdecken Sie die immer wieder anders gestaltete gleiche Geschichte der Geburt des Gotteskindes in Bethlehem. Sie werden sicherlich viel Freude finden und vielleicht auch Anregungen, sich selbst eine Krippe für Ihr Zuhause zu bauen.
Das wünscht Ihnen Ihr Krippenpfarrer und Krippenbaumeister
Bernhard Alshut